„Der Tagesspiegel“ vom 10.2.22:
„In den vergangenen Tagen kam es zum Streit zwischen dem Zentralrat der Juden in Deutschland und der Redaktion des «Duden». Es geht um den Eintrag «Jude» im Online-Wörterbuch, demzufolge das Wort gelegentlich «wegen der Erinnerung an den nationalsozialistischen Sprachgebrauch als diskriminierend empfunden» werde.
Der «Duden» empfiehlt, in diesen Situationen auf die Bezeichnung «jüdische Menschen» auszuweichen oder andere Varianten zu wählen, zum Beispiel «jüdische Mitbürger». „
Die Angst vor dem kleinen Wort „Jude“ ist schon faszinierend. Und gebiert blödsinnige Umgehungswörter; z.B. Mitbürger mosaischen Glaubens. Tucholsky hätte sich dagegen verwahrt, denn Jude war er, mosaischen Glaubens war er nicht!
Denn Jude zu sein, heißt beileibe nicht, auch religiös zu sein. Schon Moses Mendelssohn sagte »Unter allen Vorschriften und Verordnungen des mosaischen Gesetzes lautet kein einziges: du sollst glauben, sondern alle heißen: du sollst tun« und »die Israeliten haben göttliche Gesetzgebung, Lebensregeln,… aber keine Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten«.
Genauso unsinnig ist das Umgehungswort jüdische Mitbürger. Denn auch dieses beinhaltet schon die Ausgrenzung, die Klassifizierung. Da geht es eben nicht um den gleichwertigen Mitbürger, sondern um den als „anders“ definierten.
Da kommt einem schnell der Artikel über Juden in Herders Conversations-Lexikon von 1854-1857 in den Sinn, in dem es heißt: »Hinsichtlich der Judenemancipation ist zu bemerken, daß dieselbe unmöglich gute Früchte haben kann, so lange die Juden Juden bleiben.«
Das unsinnige ist, dass gerade die Versuche, nicht als Antisemit wahrgenommen zu werden, (sicherlich oft ungewollt) in einem antisemitischen Mäntelchen daherkommen. Für den, dem das Aussprechen des Wortes Jude Schmerzen bereitet, scheint aus jüdischer Sicht der Jude so etwas zu sein, wie ein Stein im Schuh, ein Fremdkörper eben.
Wer es ernst nimmt, mit der Toleranz, sagt Jude, Jüdin, Juden. Wir werden es ihm danken.
Nachtrag:
Inzwischen hat der Duden seinen „Warnhinweis“ geändert:
„Wegen des antisemitischen Gebrauchs in Geschichte und Gegenwart, besonders in der Zeit des Nationalsozialismus, werden die Wörter «Jude/Jüdin» seit Jahrzehnten von der Sprachgemeinschaft diskutiert. Gleichzeitig werden die Wörter weithin völlig selbstverständlich verwendet und nicht als problematisch empfunden. Der Zentralrat der Juden in Deutschland, der die Bezeichnung selbst im Namen führt, spricht sich für die Verwendung aus. Besonders im öffentlichen Sprachgebrauch finden sich auch alternative Formulierungen wie «jüdische Menschen, Bürger/-innen, Mitbürger/-innen» oder – in religiösem Zusammenhang – «Menschen jüdischen Glaubens». Eine weitere Variante ist «ich bin jüdisch / er ist jüdisch».“
Immer noch sehr verkrampft, aber wenigstens ist die Kritik angekommen.