Ernst Fidicin wurde am 27. April 1802 als Sohn eines invalide gewordenen Unteroffiziers und späteren Zwirnmachers in Potsdam geboren. Seine erste Ausbildung genoss er in der höheren Bürger- und dann in der »großen Schule«, dem später zum Gymnasium umgestalteten Lyceum. Nach dem Wunsch des Vaters sollte er Theologie studieren. Die Neigung des sehr begabten
Jungen lag jedoch schon früh bei der Altertumskunde; außerdem reichte für ein Theologiestudium das Geld nicht. Er musste zu- nächst die Laufbahn eines mittleren Beamten einschlagen und wurde am 9. März 1822 am damaligen Stadtgericht in Potsdam verpflichtet, wo er seine Grundausbildung absolvierte. 1828 wurde Fidicin Aktuarius beim Königlichen Kammergericht in der Berliner Lindenstraße. In der Hypotheken- und Lehnsabteilung fand er in den vielfältigen handschriftlichen Urkundenbüchern der brandenburgischen Lehnskanzlei reichhaltiges Material für seine historischen Forschungen. 1829 übernahm er die Stelle eines Registrators, später die eines Bürovorstehers der Berliner Stadtverordnetenversammlung. Anfang 1847 wurde ihm das Berliner Stadtarchiv übertragen, für das, wie Ernst Kaeber (1882–1961) schreibt, mit Fidicin eine neue Zeit begann. Der Potsdamer, der auch später immer wieder den 1837 gegründeten Verein für Geschichte der Mark Brandenburg besuchte, war nun zum Berliner geworden. Er hat die Stadt bis zu seinem Tode nicht wieder verlassen. Schon 1837 erschien sein erstes bedeutendes Werk unter dem Titel »Historisch-Diplomatische Beiträge zur Geschichte der Stadt Berlin«. Die ersten drei Bände dieses Urkundenbuches enthalten neben den vom Verfasser gesammelten Regesten und Urkunden eine der wichtigsten Quellen für die Rechts- und Verfassungsgeschichte, das 1397 zusammengetragene und verloren geglaubte Berliner Stadtbuch. Nach mehr als 100 Jahren hat es Fidicin in der städtischen Bibliothek zu Bremen wiedergefunden.
Fidicin war längst als guter Kenner der Quellen und der Geschichte Brandenburgs bekannt geworden. Nachdem er 1856 eine Neuausgabe des Landbuches Karl IV. herausgebracht hatte, erschienen 1857 und 1860 »Die Territorien der Mark Brandenburg«, ein Werk, das nach dem Urteil von Experten wohl noch heute für jeden Lokalforscher gültig und unentbehrlich ist. Nicht zuletzt wird in seiner Bibliographie deutlich, dass von Anfang an die Erforschung der Quellen zur Geschichte der Mark Brandenburg und Berlins in seiner Arbeit untrennbar verbunden waren. Nach Gerd Heinrich ist er der letzte Berliner Stadtarchivar gewesen, der es vermochte, gleichzeitig Fragen der Berliner und brandenburgischen Geschichte zu bearbeiten. In die Geschichte eingegangen ist allerdings auch eine »arge literarische Fehde« mit dem Historiker Karl Friedrich von Kloeden (1786–1856) wegen der Gründungszeit Berlins. In diesem Streit, so Heinrich, vertrat Fidicin zweifellos »den besonneneren und quellennäheren Standpunkt«.
Leben und Werk von Ernst Fidicin sind untrennbar verbunden mit der Geschichte und dem Wirken des Vereins für die Geschichte Berlins. Er gehörte zu jenen Persönlichkeiten, die sich am 28. Januar 1865 im Café Royal Unter den Linden Nr. 33 versammelten, als sich dieser heute wohl traditionsreichste Berliner Geschichtsverein konstituierte. Ein Bericht über die Gründungsversammlung von Alexis Schmidt erschien am 31. Januar auf einer ganzen Großfolioseite in der Spenerschen Zeitung »Berlinische Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen«. Ernst Kaeber irrte wohl, als er in seinen »Erinnerungen an das Stadtarchiv Berlin« bemerkte, dass Fidicin nicht zu den Gründern des Vereins gehörte. Am 15. Februar 1865, nur zwei Wochen nach der Gründung des Vereins, hielt Fidicin den ersten Vortrag zum Thema: »Die bisherige Geschichtsschreibung Berlins«; insgesamt hat er allein in diesem Verein elf Vorträge gehalten. Nach seiner Pensionierung 1878 bis zu seinem Tode war er Ehrenvorsitzender des Vereins. Herausgegeben hat er im Verein so bekannte Große Begabung und Willenskraft, Fleiß und Bescheidenheit prägten das Leben von Ernst Fidicin, das er voll und ganz in den Dienst seiner Archiv- und Forschungsarbeit stellte. Es wird berichtet, dass er zweimal das ehrenvolle Angebot abgelehnt habe, in das Königliche Archiv als Archivar einzutreten. Er wollte den Aufbau des Stadt-Archivs nicht gefährden. Oberbürgermeister Krausnick (1797–1882), der Fidicin seinen »ältesten Schul- und Jugendfreund« nannte, hat dessen Arbeit besonders gefördert.
Am 9. März 1872 wurde er für 50 Jahre Tätigkeit in der Verwaltung Potsdams und Berlins geehrt. Die vom Verein in dankbarer Anerkennung seiner Verdienste im Bereich der Urkundenforschung und der Geschichtsschreibung Berlins gestiftete Medaille wurde jedoch nicht rechtzeitig fertig. Sie konnte ihm erst am 15. Juni 1872 feierlich übergeben werden. Dazu versammelten sich die Mitglieder märkischer und städtischer Geschichtsvereine an der im Park des Babelsberger Schlosses wiedererrichteten Berliner Gerichtslaube. Kaiser Wilhelm I. überreichte die goldene Medaille und der Vereinsvorsitzende, der Geheime Hofrat Louis Schneider, würdigte den späteren Ehrenvorsitzenden als „geistigen Gründer“ des Vereins. Als Fidicin das Amt des Stadtarchivars mit 76 Jahren 1878 abgab, war Berlin Reichshauptstadt geworden.
Am 19. Dezember 1883 starb Ernst Fidicin. Auf seinem Grabstein auf dem Alten Luisenstädtischen Friedhof am Südstern steht: »Hier ruht in Gott unser geliebter Vater, Schwiegervater und Großvater, der Stadt-Archivar Carl Ernst Fidicin«. Darunter ist der Spruch der goldenen Medaille eingemeißelt: »Was du erforschet, hast du miterlebt«.
Am 24. April 1890 erhielt die Fidicinstraße ihren Namen.
(Quelle: Jutta Schneider, „Carl Ernst Fidicin, Stadtarchivar und Historiograph Berlins“, © Edition Luisenstadt, 1998)